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Helfer:innen der Berliner Hilfsorganisationen gehen auf Kameramann zu.

Arbeiten, während in der Heimat der Krieg tobt

Ludmyla stammt aus Charkiw, der zweitgrößten Stadt in der Ukraine. Als ihr Zuhause vor über einem Jahr im Krieg zerstört wurde, packte Ludmyla ihre Taschen, setze sich in Zug und Bus und kam im November 2022 im Ankunftszentrum in Tegel als Geflüchtete an.
Nicht mal ein halbes Jahr später lernt sie Deutsch, lebt in einer Wohnung in Berlin und arbeitet nun selbst seit April bei der ASB Nothilfe gGmbH im Ankunftszentrum Tegel in der Kleiderboutique und überall dort, wo gerade Unterstützung gebraucht wird.

Ein Interview mit einer beeindruckenden Frau.

Ludmyla, seit wann bist du in Berlin?
Ich bin am 17. November 2022 nach Berlin gekommen.

Wie bist du nach Deutschland gekommen und wie waren die ersten Tage, als du nach Berlin gekommen bist?
Ich komme aus Charkiw. Die Schule von meinen Enkelkindern wurde komplett zerstört. Wir haben uns zwei Wochen unter dem Haus in einem Bunker versteckt, um vor den Bombenangriffen zu fliehen.
Zuerst sind wir mit dem Zug nach Lwiw gefahren. Dort haben bereits Freiwillige gewartet. Ich wohnte dann eine Woche kostenlos im Hotel. Mit dem Bus und vielen anderen Geflüchteten bin ich dann durch Polen direkt bis ins Ankunftszentrum in Tegel gefahren. Hier habe ich direkt ein Bett bekommen und das war sehr schön. Ich habe im unteren Bett geschlafen. Ich war sehr glücklich, als ich keine Bomben mehr gehört habe und ich fand es schön, dass es überall ruhig war. Das war mir das wichtigste in erster Linie. Die Betreuung war sehr freundlich. Ich persönlich hatte keine Schwierigkeiten als ich in Tegel angekommen bin. Nachdem ich den Krieg er- und überlebt habe, mochte ich alles. Die Betten waren sehr sauber. Viele haben die Küche am Anfang nicht gemocht, da diese sich der von der ukrainischen Küche unterscheidet.
Toll wäre es, wenn man Deutschkurse für Kinder und Erwachsene organisieren könnte, weil die Menschen vor Ort keine weitere Beschäftigung außer Essen und Schlafen haben. Dann hätten die Geflüchteten eine Aufgabe am Tag.

Bist du alleine nach Berlin gekommen?
Ich bin alleine nach Berlin gekommen. Eine meiner Töchter ist bereits im März 2022 in Leipzig untergekommen. Ich habe vier Enkelkinder und eine Ur-Enkeltochter. Wir telefonieren oft und schicken uns viele Bilder. Meine Familie ist bereits wieder zurück in die Ukraine gegangen. Das verstehe ich nicht.

Wo wohnst du inzwischen?
Ich war 2 ½ Monate in Tegel untergebracht und wohne nun seit 2 Monaten in einem Zimmer in einer 3-Zimmer Wohnung in Neukölln. Ich habe das kleinste Zimmer. Ich wohne mit vier anderen Frauen zusammen. Wir teilen uns die Küche. Wir kommen alle aus der Ukraine und verstehen uns inzwischen sehr gut.

Hast du derzeit viel Kontakt in die Ukraine?
Es ist sehr schwierig für mich. Ich habe viele Freunde verloren. Ich konnte nicht auf die Beerdigungen gehen, da ich bereits in Deutschland war. Viele Bekannte haben Angst nach Deutschland zu kommen, da sie schon krank sind oder Angehörige in der Ukraine pflegen möchten.

Was hast du in der Ukraine gearbeitet?
Ich habe meinen Hochschulabschluss als Chemieingenieurin und habe in einem sehr großen Werk für Chemieproduktion mit 20.000 Mitarbeitenden gearbeitet. Als der Betrieb in den 90er Jahren pleiteging, war ich für mehrere Jahre arbeitslos. Mein Ehemann ist gestorben und ich habe mich um die Familie gekümmert. Dann habe ich angefangen als Einzelunternehmerin Second-Hand-Sachen auf dem Markt zu verkaufen. Nach 10 Jahren habe ich zwei Läden gekauft und eine kleine Boutique darin geführt. Deswegen arbeite ich hier. Das ist meine Sache (sie lacht). Dann habe ich alles meiner ältesten Tochter verkauft und meiner anderen Tochter bei der Erziehung der Kinder geholfen. In dem Dorf, wo meine Tochter gewohnt hat, habe ich dann angefangen als Musiklehrerin zu arbeiten.

Was sind deine Aufgaben im Ankunftszentrum?
Ich habe ganz verschiedene Aufgaben. Die Teamleiter teilen mich in der Boutique oder am Hygiene-Schalter ein. Ich helfe immer überall.

Was bedeutet es für dich, eine Arbeit in Deutschland zu haben?
Das ist genau meine Sache hier. Ich möchte am liebsten den ganzen Tag und die ganze Nacht arbeiten, wenn es möglich wäre. Ich möchte auch keine Pause machen. Aber alle sagen zu mir, dass ich auch immer mal eine Pause machen soll.
In der Ukraine ist es derzeit für mich unmöglich, eine Arbeit zu finden. Es ist alles zerstört. Ich bekomme eine kleine Rente, wovon ich nicht leben kann. Und mit meinem Lohn in Deutschland kann ich meiner Familie, meinen Kindern und Enkelkindern helfen. Das ist sehr wichtig für mich, in Deutschland eine Arbeit zu haben. Ich kann ohne Arbeit nicht leben. Ich habe immer ein falsches Bild von Deutschland gehabt. Aber alle sind so freundlich.

War es einfach für dich in Berlin eine Arbeit zu finden?
Nein. Ich hatte keine Hoffnung Arbeit zu finden. Aber ich wollte unbedingt in Tegel arbeiten seit ich selbst hier angekommen bin. Dann haben mir viele Menschen dabei geholfen. Ich habe eine ASB-Mitarbeiterin kennengelernt, die in der Boutique gearbeitet hat. Sie hat mir ganz viele deutsche Bücher mitgebracht und die deutsche Sprache beigebracht. Sie war quasi meine erste Lehrerin. Jeden Tag haben wir zusammen gelernt. Als ich dann gefragt wurde, ob ich stricken kann, habe ich gesagt: „Nein, aber ich kann Gitarre spielen und singen“. Dann habe ich ein kleines Konzert in der Boutique gegeben und daraufhin habe ich von der Leitung ein Jobangebot bekommen. Ich habe einen Lebenslauf geschrieben und musste nur eine Stunde warten und hatte dann schon die Antwort. Das war großes Glück.

Wie gut verstehst du schon die deutsche Sprache?
Ein bisschen. Früher konnte ich nur 3 Worte sprechen. Da habe ich gesagt „Ich liebe dir“ aber jetzt kann ich auch die Grammatik und weiß, dass es „Ich liebe dich“ heißt.  Die Sprache fällt mir aber am Schwersten momentan. Ich möchte ganz schnell deutsch sprechen können. Alles andere ist okay.

Was sind deine Zukunftspläne?
Momentan möchte ich nicht in die Ukraine zurück, da noch viele Bomben fliegen. Solange der Krieg ist, gibt es auch keine Arbeit. Es gibt kein Internet, kein Licht, kein warmes Wasser. Ich fühle mich nicht sicher. Ich möchte am liebsten in Berlin bleiben. Mir gefällt Deutschland sehr gut.

Was wünschst du dir für die Zukunft?
Mein sehnlichster Wunsch ist natürlich das Ende des Kriegs. Ich möchte, dass meine Ukraine aufsteht und gewinnt. Schon vor 40 Jahren war ich der Meinung, dass ich glücklich bin, wenn es alle anderen auch sind.


Wir wünschen dir alles Gute für deine Zukunft und freuen uns, dass du bei uns bist.

Ludmyla arbeitet seit April in der Nothilfe im Bereich Logistik.

Foto: Christian Hansen