„Irgendwann ist das Wasserglas voll“ - Nachsorge für die Einsatzkräfte
Silvia Zesch engagiert sich seit über 50 Jahren ehrenamtlich, seit 1991 für den ASB. 2003 hat sie die Leitung der Fachgruppe Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) innerhalb des Fachdienstes Katastrophenschutz übernommen. Sie und ihr Team sind für Menschen da, die gerade einen Angehörigen verloren haben, Augenzeuge bei einem schweren Unfall wurden oder Suizid begehen wollen bzw. begangen haben. Sie leistet sogenannte psychologische Erste Hilfe. Darüber hinaus kümmert sich unser PSNV-Team auch um Einsatzkräfte nach belastenden Einsätzen – ein Angebot, das innerhalb des gesamten ASB Berlin abrufbar ist.
Silvia, was gibt es für Fälle, in denen Einsatzkräfte Eure Hilfe anfordern?
Das können ganz verschiedene Gründe sein. Das kann zum Beispiel eine erfolglose Reanimation sein. Oder wenn Rettungskräfte zu einem Suizid dazu kommen oder zu einem schweren Verkehrsunfall. Auch nach dem Attentat auf dem Breitscheidplatz waren viele Einsatzkräfte traumatisiert. So etwas kommt auch häufig dann vor, wenn sich Einsätze anhäufen. Irgendwann ist das Wasserglas voll und läuft über.
Woran können Einsatzkräfte erkennen, dass sie stark belastet sind?
Jeder Mensch reagiert anders. Manche werden überaktiv und machen immer und immer mehr Einsätze. Andere ziehen sich zurück, obwohl sie vorher sehr aktiv gewesen sind und melden sich gar nicht mehr für Einsätze. Das sollte einen dann schon stutzig machen. Hier ist auch die Fürsorgepflicht der Einsatzleitung gefragt. Wenn sie so etwas mitbekommt, sollte sie die Einsatzkraft dazu ermutigen, sich Hilfe zu holen.
Gibt es weitere Merkmale, dass sich zu viel angestaut haben könnte?
Es ist natürlich ganz individuell, wie jemand in Stresssituationen reagiert. Vielleicht war jemand früher positiv gegenüber mancher Einsatzszenarien eingestellt und ist es jetzt nicht mehr. Auch Schlaflosigkeit oder Alpträume können Anzeichen für eine posttraumatische Belastung sein. Und wenn sich die Gedanken immer um dasselbe Ereignis drehen. Oder es gibt Trigger-Momente. Zum Beispiel, wenn die Einsatzkraft unterwegs ist und z.B. genau die Musik hört, welche zur Zeit des Ereignisses gespielt hat oder auch bestimmte Geräusche. Da ist bei manchen sofort alles wieder da. Manche vermeiden es auch, wieder an den Ort des Geschehens zurückzugehen.
Worauf kommt es bei Eurer Tätigkeit an?
Man muss natürlich in der Lage sein, über psychische Dinge zu reden und sich auch eine entsprechende Empathie erarbeiten. Das heißt auf den anderen zugehen können, den anderen verstehen. Und ganz wichtig ist es, keine Wertung abzugeben. Außerdem bleibt alles, worüber wir uns unterhalten, bei uns in den Einsätzen, alles wird anonym und streng vertraulich behandelt.
Wie könnten Strategien sein, um schwierige Einsätzen gut zu verarbeiten?
Es geht erstmal um die Frage: Was kann ich persönlich für meine Gesundheit tun? Vielen hilft es, zum Beispiel an Orte zu gehen, die man liebt und wo man runterkommen kann. Oder sich mit Freunden zu treffen. Vielleicht auch einen Gesprächspartner finden, mit dem man reden kann. Musik hören. Manche gehen auch in die Kirche. Also sich nicht zurückzuziehen, sondern Möglichkeiten finden, für sich selber etwas Gutes zu tun und damit positive Elemente schaffen. Und sich auch die Zeit dafür nehmen. Und auf sich selber achten. Wenn mir selber irgendetwas komisch vorkommt, sollte ich Hilfe in Anspruch nehmen.
Wie geht Ihr bei den Gesprächen mit den Betroffenen vor?
Hier wird den Betroffen zum Beispiel erklärt, was es für Phasen nach einer Belastungsstörung gibt und wie man für sich selbst einschätzen kann, ob man weitere Hilfe braucht oder nicht. Die Einsatzkräfte oder Mitarbeiter haben auch nach einem Gespräch jederzeit die Möglichkeit, sich nochmal bei uns zu melden, z.B., wenn man feststellt, dass man völlig anders reagiert als früher. Da werden dann Strategien besprochen und Hilfen angeboten. Es geht dabei also um die Wiederherstellung der Gesundheit. Das kann unter Umständen auch so weit führen, dass wir weiterreichende Hilfe anbieten und organisieren. Das müssen die Einsatzkräfte und Mitarbeiter wollen.
Wie hat sich Eure Arbeit im Vergleich zu früher geändert?
Früher kam es noch viel häufiger vor, dass Einsatzkräfte keine persönliche Schwäche zeigen wollten. Sich einzugestehen, dass man eben nicht immer über den Dingen stehen kann und dass manche Einsätze auch sehr belastend sein könnten, das ist für viele schwierig. Viele fühlen sich dann schwach, vielleicht minderwertig. Bei Rettungskräften war das früher noch wesentlich schlimmer als heute, mittlerweile hat es sich etwas gebessert. Aber nach wie vor sind Einsatzkräfte einer extrem hohen Belastung ausgesetzt. Das gilt natürlich auch für medizinisches Personal, zum Beispiel in Krankenhäusern oder in der Pflege. Hier muss man für sich Wege finden, wie man das kompensieren kann. Das heißt dann, für sich selber auch eine Art Schutzmauer zu bauen und Strategien entwickeln, um bestimmte Dinge eben nicht so nah an sich ranzulassen.
Herzlichen Dank für die Informationen und die wichtige Arbeit, die Ihr leistet!
Silvia Zesch als Leiterin der gesamten PSNV B und PSNV E Gruppe, Klaus Kunitz als Leiter der PSNV-E Gruppe und ihr Team stehen Einsatzkräften des ASB Berlin nach belastenden Einsätzen zur Seite.
Kontaktmöglichkeit:
Silvia Zesch
Tel: 0179 108 78 00 / E-Mail:
Klaus Kunitz
Tel: 0174 1318473 / E-Mail: