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Helfer:innen der Berliner Hilfsorganisationen gehen auf Kameramann zu.
Jubiläum

„Sogar das Krankenhauspersonal macht Fotos“

40 Jahre realistische Notfalldarstellung im ASB Berlin

Pia und Thomas in voller Aktion. Foto: ASB/ Hannibal

Die AG Maske ist eine Fachgruppe aus dem Katastrophenschutz des ASB Berlin und steht für das gesamte Themengebiet realistischer Notfalldarstellung. Von der Krankenhausübung über Trainings im Rahmen von Einsatzkräfteausbildungen über individuelle Schmink- und Darstellertrainings: Die AG Maske lässt das Kunstblut fließen und sorgt damit für größtmögliche Übungseffekte.
Vor einigen Tagen feierte die Arbeitsgemeinschaft ihr 40-jähriges Bestehen. Im Interview erzählen Gründungsmitglied Thomas Krugeler und Pia Hemmerling von den Anfängen der AG Maske, von ihren persönlichen Highlights und was sie motiviert, sich für die AG Maske zu engagieren. Pia ist seit ihrer Geburt fast vollständig erblindet und ist zum ersten Mal als Verletztendarstellerin mit der AG Maske in Berührung gekommen. Mittlerweile gehört sie zum festen Schminkteam.

Ihr beiden, könntet Ihr nochmal kurz erklären, wer oder was ist die AG Maske?

Thomas: Wir machen realistische Notfalldarstellung und stellen sowohl Unfälle als auch Krankheiten dar. Wir schminken zum einen Verletzungen oder Krankheiten für externe Übungen, zum Beispiel in Krankenhäusern oder in Kürze für die Deutsche Bahn, zum anderen schminken wir aber auch für Ausbildungszwecke innerhalb des ASB. Bei der Übung mit der Deutschen Bahn wird es darum gehen, dass zwei Züge zusammenstoßen. Es wird eine Verletztenablage und ein Triageplatz aufgebaut. Geübt wird das Szenario bis zu der Stelle, wo die Verletzten an die Rettungswagen übergeben werden. Ort und Umfang der Übung sind im Vorhinein nur einem sehr kleinen Personenkreis bekannt. Die eigentlichen Kräfte werden erst am Tage selber alarmiert. Dann spielt man die Rettungskette bzw. die Alarmkette durch. Man will natürlich auch sehen, wie lange die Rettungskräfte brauchen, um zum Einsatzort zu kommen, wie organisieren sie sich und so weiter.

Ein Hauptfeld der AG Maske sind die sog. Krankenhausübungen. Was genau hat es damit auf sich?

Thomas: Krankenhausübungen haben ein fiktives Szenario – etwa, dass ein Amoklauf stattgefunden hat und eine gewisse Anzahl an Verletzten ins nächste Krankenhaus gefahren werden muss.  

Pia: Die Übung kommt für das Krankenhauspersonal überraschend. Aber in dem Moment, wo sie die ersten Beobachter sehen, wissen sie, dass es sich um eine Übung handelt. Die Ärzte sind oft begeistert, von dem was sie da so zu Gesicht bekommen. Nachdem sich das erste Chaos im Krankenhaus gelichtet hat, kommt es manchmal vor, dass die Krankenschwestern oder anderes medizinisches Personal fragen, ob sie mal ein Foto machen können.

Thomas: Initiiert werden die Krankenhausübungen von der Senatsgesundheitsverwaltung. Das Konzept, dass man Krankenhäuser circa alle 5 Jahre prüft, ist in Deutschland relativ einzigartig. Das gibt es in anderen Bundesländern so nicht. Andere Bundesländer kommen allerdings allmählich auf uns zu und planen langfristig, auch mit Übungen dieser Art zu beginnen. Angefragt sind wir zum Beispiel vom Universitätsklinikum in Leipzig.

Zur Geschichte der AG Maske: Wie viele Mitglieder gab es am Anfang, wie viele gibt es jetzt?

Thomas: Als wir angefangen haben, waren wir vier Leute – initiiert von Ita Vollnhals und ihrem Mann, der damals ASB Landesarzt war. Wir haben uns dann relativ schnell zu einer größeren Gruppe, bestehend aus zehn Schminkern entwickelt und haben einen Kreis an Leuten aufgebaut, die uns dann auch permanent als Darsteller unterstützt haben. Und da haben wir eigentlich mit den internen Übungen angefangen. Wir haben die Ortsverbände an ihren Übungsabenden unterstützt und den Katastrophenschutz mit Übungen begleitet. So hat sich das sukzessive aufgebaut. Heute sind wir im Kern vier bis sechs Leute, die schminken. Das ist natürlich zu wenig. Wir freuen uns daher über jeden, der Interesse hat und sich das mal anschauen möchte. Man braucht weder medizinisches Knowhow noch Vorkenntnisse, was das Schminken betrifft. Was man mitbringen sollte, ist Lust. Lust am Schminken, am Probieren, am Experimentieren.

Pia: …und Zeit. Das ist immer unser großes Problem. Viele unserer Mitglieder sind auch noch in anderen Tätigkeitsfeldern im ASB aktiv. Und die meisten von uns haben auch noch einen Job und da kann man vielleicht mal nicht mitten in der Woche oder auch am Wochenende. Auch kommen Urlaub und Krankheit dazu. Wir suchen wirklich immer Leute. Wir bilden selbst auch aus. Und auch der Bundesverband bietet Schminkseminare für den Einstieg an.

Wie lange dauert es, bis man die ersten einfachen Verletzungen schminken kann?

Pia: Ich selbst fange gerade erst an mit Schminken und stelle fest, es macht dann wirklich die Routine und die Übung. Ich konzentriere mich dann in einer Übung zum Beispiel nur auf Schürfwunden mit Splitterverletzungen oder mal ein Hämatom. Und das mache ich dann so lange bis ich sage, ich fühle mich jetzt sicher darin und mache eine dritte Verletzung noch dazu. An den Teamabenden, die bei uns immer einmal im Monat stattfinden, fehlt uns leider manchmal die Zeit, jedes Mal aktiv das Schminken zu üben, weil wir oft die Übungen vor- und nachbereiten. Die Kisten müssen aufgeräumt und neu bestückt werden, Materialien müssen geputzt werden. Aber jeder kann auch für sich einfordern, wenn er etwas üben möchte. In diesem Jahr soll nochmal ein Schminkseminar als Auffrischung stattfinden.  Der Winter bietet sich für sowas generell an, weil wir keine Übungen haben und uns eben auf sowas auf den Teamabenden fokussieren können und keine Übungen vor- und nachbereiten.

Wie lange seid Ihr schon dabei?

Pia: Ich bin seit 2016 mit dabei. Am Anfang war ich noch als Darstellerin tätig. Vor gut einem Jahr habe ich beschlossen, dass ich eigentlich gerne noch mehr machen würde, wenn ich kann und darf.

Thomas: Das hat sich eigentlich im Sommer letzten Jahres entwickelt, wo wir auch das Inklusionsprojekt „Helfende Hand“ in Angriff genommen haben. Aber es geht ja nicht nur darum, jemandem, der nicht sehen kann, das Schminken beizubringen. Wir haben uns zum Beispiel gefragt, was kann man eigentlich mit einfachen Techniken und einigen wenigen Handgriffen an Verletzungen darstellen? Wir haben bei Pia angefangen mit dem Schminken von Hämatomen. Dann kann man darauf aufbauend eine Schürfwunde machen, eine Risswunde usw.

Pia: Bei den Darstellenden sprechen wir auch vorher ganz offen an, dass sie von mir geschminkt werden und dass ich blind bin. Und ob das ok ist, wenn ich den Leuten etwas näher komme.  

Was ist Eure Hauptmotivation, bei der AG Maske mitzumachen?

Thomas: Ich mach ja nichts anderes mehr im Verband außer der AG Maske, weil ich daran den meisten Spaß habe. Im Team kennen wir uns teilweise seit Jahrzehnten und sind auch miteinander befreundet. Ja und natürlich wegen der Sache selbst. Selbst wenn Du schon tausendmal eine Schnittverletzung gemacht hast, sieht jede Verletzung am Ende anders aus. Es spielen dabei viele Faktoren wie Temperatur oder Luftfeuchtigkeit mit eine Rolle.

Pia: Eigentlich bin ich da einfach so reingerutscht. Ich bin ja erst vor acht Jahren hierher gezogen und hatte noch nicht so viele soziale Kontakte. Ich hatte schon früher mal in Hamburg und Umgebung bei Katastrophenschutzübungen mitgemacht und schon damals gemerkt, dass es da noch ein ganz schönes Defizit gib. Dass Menschen mit Behinderung anscheinend nicht in einem Bus sitzen, der verunglückt. Und ich bekomme ja ganz oft im Alltag mit, dass ich auf Barrieren stoße, weil es bestimmte Denkmuster in der Gesellschaft gibt. Ich finde das eine sehr gute Möglichkeit, auch zu zeigen, dass man überall mit Menschen mit Behinderung rechnen kann. Auch im Rettungswagen. Und damit offener umzugehen. Seit dem Preis der „Helfenden Hand“ haben wir auch immer wieder Menschen mit Behinderung als Verletztendarsteller, die sich plötzlich trauen, sich bei uns zu melden, so wie vor Kurzem zwei Rollstuhlfahrer. Dann haben wir bei der nächsten Übung eben eine Blinde, einen Rollifahrer und jemanden mit Down-Syndrom. Und noch einen Taubstummen. Ich finde, das gehört einfach in die Gesellschaft.

Was macht Ihr, wenn Ihr nicht ehrenamtlich tätig seid?

Pia: Normalerweise arbeite ich für ein Sozialunternehmen im Bereich der Brustkrebsvorsorge.

Thomas: Ich bin als Systemadministrator an einer großen Berufsschule in Berlin in Spandau. Ich habe dort die Systemverantwortung für die IT Systeme.

Was ist die aufwendigste Verletzung, die Ihr je geschminkt habt?

Thomas: Amputationen sind zeitlich sehr aufwendig - und auch für die Darsteller relativ anstrengend. Offene Oberschenkel sind auch sehr zeitaufwendig, wenn man dabei noch die Knochen ausarbeiten muss. Und natürlich Verbrennungen. Wir fertigen dafür eine Emulsion an aus einem Gemisch aus Gelatine und Glyzerin, die gekocht wird. Wenn diese dann auf Zimmertemperatur runtergekühlt ist, ist sie immer noch sehr elastisch und man kann sie auf die Haut auftragen. Damit kann man alle Verbrennungsgrade darstellen. Von der geschlossenen Verbrennung mit Blasenbildung bis zur offenen Verbrennung. Eine großflächige Verbrennung zu schminken, dauert etwa eine halbe Stunde.

Gibt es eine Art der Nachbereitung? Schminkt Ihr zum Beispiel auch wieder ab?

Pia: Wir achten schon darauf und stellen die Materialien bereit. Wir möchten natürlich nicht, dass 30 Leute mit Schusswunden durch Berlin laufen, auch wenn manche ihre Verletzungen gerne „mitnehmen“ würden. Aber gerade wenn wir wissen, dass die Person jetzt nicht mit dem Auto nach Hause fährt, sondern in der Bahn sitzen würde, achten wir darauf.

Und aus psychologischer Sicht: Macht Ihr etwas zum „Entrollen“, so dass die Darstellenden wieder aus ihrer Roller herausschlüpfen können?

Thomas: Eigentlich nicht. In dieser Hinsicht gibt es keine Nachsorge. Aber das ist ein gutes Thema. Darüber habe ich ehrlich gesagt noch nie nachgedacht. Allerdings beobachten wir ja auch mit. Wenn wir merken, dass sich da jemand zu stark reinsteigert, nehmen wir ihn raus bzw. sprechen ihn oder sie an und fordern dazu auf, etwas langsamer zu machen. Wir haben ja diese Altersgrenze von 16 Jahren nicht umsonst. Es kam auch schon mal vor, dass eine Darstellerin beim Schminken immer ruhiger wurde – das war ein Mädel, das eine Oberschenkelfraktur bekommen sollte. Ich achte immer darauf, dass ich mit den Teilnehmern beim Schminken möglichst viel spreche und erstmal auch ein wenig zur Wunde aufkläre. Dann bekommt man schon mit, was gerade bei denen passiert. Als ich merkte, dass das Mädel immer ruhiger wurde, haben wir sie dann rausgenommen und ich habe die Verletzung wieder entfernt. Da haben wir dann die Verletzung mit einem anderen Darsteller getauscht und bei dem Mädel etwas an der Hand gemacht. Sie hat sich scheinbar unwohl gefühlt, weil die Verletzung zu groß war. Bei so etwas müssen wir natürlich aufpassen, dass sie uns solche Darstellende nicht zum realen Fall werden.

Wie ist sonst so das Feedback der Teilnehmer?

Pia: Sehr positiv. Wir haben uns aber auch einen festen Stamm an Darstellern aufgebaut. Viele kommen aus dem Gesundheitswesen und aus dem Krankenhaus. Die können die Übungen auch nochmal anders einordnen. Es spricht ja auch für uns, dass viele immer wieder kommen. Also scheint es ihnen Spaß zu machen. Außerdem kann ich mir schon vorstellen, dass auch gerade Jüngere einen bewussteren Umgang mit Notfällen bekommen und man nicht gaffen muss, wenn da jemand Verletztes liegt.

Könnt Ihr euch an ein besonderes Highlight erinnern?

Thomas: Eines der neueren Highlights war auf alle die Bundesübung in Mainz. Die Größenordnung in einem Stadion war einfach beeindruckend.  
Ein Highlight war auch Erfurt - das liegt ungefähr vier Jahre zurück. Da hat die Stadt Erfurt eine Amokübung im Hauptbahnhof durchgeführt. Die Organisatoren haben uns einen ganzen Reisebus gestellt und wir sind mit 50 Leuten nach Erfurt gefahren. Geschminkt haben wir in der Turnhalle, haben dann die Übung gemacht, und dann noch versucht, ein paar Stunden in der Turnhalle zu schlafen. Am nächsten Tag sind wir wieder zurückgefahren.
Auch ein frühes Highlight waren die Flugzeugabstürze in Tegel und damals auch noch Tempelhof. Da haben wir dann in abgesperrten Bereichen geübt. Flugzeuge wurden in Brand gesetzt, so dass auch die Flughafenfeuerwehr zum Einsatz kommen konnte.
Auch Höhenrettung war ein spannendes Thema, wo man uns vom Rathausturm abgeseilt hatte. Zu dieser Zeit war ich selbst noch Darsteller. Da habe ich dann oben auf dem Turm auf der Trage gelegen und das THW sollte uns abseilen. Zwischendrin haben sie noch diskutiert, wie sie die Knoten machen sollen. Heute würde ich das nicht mehr machen.  

Hättet Ihr einen Wunsch für die AG Maske

Thomas: Wir brauchen einfach mehr Leute. Ein paar Leute, die Interesse haben und den harten Kern unterstützen. Nicht jeder kann immer überall. Außerdem sind die meisten von uns nicht mehr so jung. Da macht man sich schon mal Gedanken, wie das eigentlich weitergeht. Ich möchte nicht, dass der Bereich einschläft, sondern dass wir den Bereich langsam weitergeben können.

Pia: Weil wir so wenig sind, können wir leider auch nicht alle Anfragen erfüllen. Es muss ja auch nicht jeder schminken. Auch die Organisation drumherum ist für uns sehr wichtig. Ich möchte eigentlich nicht, dass wir irgendwas absagen müssen, nur weil wir nur drei Leute sind. Vielleicht ist genau nach 40 Jahren die Zeit, mal wieder neu durchzustarten.

 

Patricia Dichtl

Wir wünschen Euch alles Gute für die Zukunft!

Wer sich ehrenamtlich für die AG Maske engagieren möchte,
kann gerne Kontakt aufnehmen, unter: 5!j_9'Jqf=.U73u}]#[ynQOTd.yTv|Aw@Zc