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Helfer:innen der Berliner Hilfsorganisationen gehen auf Kameramann zu.

Von Kunstblut und Kartoffelsuppe - Als Verletztendarstellerin bei der AG-Maske

Ich kauere in einer dunklen, kalten Hütte auf dem Boden und um mich herum schreien Menschen panisch um Hilfe und geben gequälte Geräusche von sich. Ich höre Aufschreie wie „Ahh, helft meinem Baby!“ und „Hilfe, die Josefine liegt hier ganz komisch!“. Meinen linken Arm muss ich stützen, denn am Oberarm prangt eine schrecklich aussehende Schusswunde. Auch ich gebe theatralische Töne von mir und bin kurz davor ohnmächtig zu werden.

Das alles hat sich zwar wirklich sehr real angefühlt, war es aber zum Glück nicht. Es war Teil der AG-Maske-Übung, für die ich mich als Verletztendarstellerin angemeldet hatte. Diese stellt einen Teil der Ausbildung neuer Notärztinnen und Notärzte dar und für mich als BFDlerin in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim ASB-Landesverband Berlin war es für eine gute Möglichkeit, den ASB und die Arbeit weiterer Hilfsorganisationen mal auf eine andere Art und Weise kennenzulernen.

Am Samstag, dem 9.10. ging es morgens um viertel nach sieben auf dem Polizeiübungsgelände in Spandau los. Als ich dort ankam, war ich ganz überrascht von dem breiten Aufgebot, das ich vorfand. Der Hof stand voll mit Autos von ASB, den Maltesern, der Freiwilligen Feuerwehr, DLRG und dem Katastrophenschutz, wodurch mir schnell klarwurde, dass ich an dem Tag nicht „nur“ an einer Schminkaktion teilnehmen würde. Direkt nach meiner Ankunft wurde ich mit meiner Verletzung vertraut gemacht und bekam ein gelbes Schildchen, auf dem „meine“ Vitalwerte standen. Gestärkt und etwas aufgewärmt durch belegte Brötchen und Kaffee ging es dann schnell in die Maske, in der mir eine ehrenamtliche Helferin meine Schussverletzung schminkte und zu guter Letzt noch mit etwas Kunstblut verzierte. Für die Dramatik.

Um halb neun wanderten wir dann als geschlossene Gruppe mit allen neun Darsteller*innen auf eine Anhöhe zu einer abgelegenen Hütte und wurden mit Isomatten, Decken und Tee ausgestattet. Wir durften uns auf den zwei Etagen selbst einen Platz suchen, auf dem wir die nächsten drei Stunden verbringen würden und ich suchte mir die hinterste und düsterste Ecke aus, um die Mediziner*innen vor möglichst viele Herausforderungen zu stellen. Die meisten anderen Darsteller*innen hatten bereits zuvor an der AG-Maske teilgenommen und erklärten mir, ich müsse nur daliegen, das Schildchen etwas verstecken, damit mich die Ärztinnen und Ärzte auch richtig untersuchen und „in die Situation reinkommen“. Diese war, stellte sich kurz darauf heraus, dass eine Schießerei in einer Grundschule stattgefunden habe und die angehenden Notärztinnen und Notärzte einschätzen und dokumentieren sollten, wie schwerwiegend unsere Verletzungen waren. Sie sollten uns also „triagieren“.

Einfach nur dazuliegen, war dann aber irgendwie doch nicht alles, denn sobald die Rettungswagen mit Blaulicht und Sirenen zur Hütte gerast kamen und somit der erste Durchgang losging, fingen plötzlich alle um mich herum an, zu stöhnen und ihr Leid auszuleben. Ich fühlte mich wie in einem Horrorfilm. Die Ärztinnen und Ärzte, die zunächst quatschend und gut gelaunt ins Gebäude kamen, schienen überrascht vom Ernst der Übung. Sie kamen in Dreiergruppen zu uns, stellten sich vor, beruhigten uns und fingen an, uns zu untersuchen. Sobald sie das gelbe Schildchen fanden, war für sie die Situation klar und sie erklärten, dass bald Hilfe kommen würde. Ich stöhnte also immer wieder „Ohh, mein Arm“, betonte, dass sonst nichts sei und sah ein, dass ich wohl selbstständig die Hütte verlassen könnte. Dies wiederholte ich bei verschiedenen Dreigruppen immer wieder, bis ein lautes Hupsignal das Ende der Übung verkündete.

Von jetzt auf gleich war die bedrohliche Stimmung vorbei. Wieder im Tageslicht angekommen schauten einige der Ärztinnen und Ärzte teils erstaunt, teils zufrieden auf unsere Wunden, die sie nun in all ihrer Pracht sehen konnten. Manche stellten fest, dass ich eben doch keinen gebrochenen Arm hatte oder er nicht nur geblutet hat und alles „supi“ war. Die meisten allerdings haben meinen Steckschuss sehr gut erkannt und schienen glücklich mit ihrer Leistung.

Das ganze Prozedere wiederholte sich noch weitere vier Male, bei denen meine Wunde durch weiteres Kunstblut immer schlimmer aussah und meine Schauspielkünste dadurch angereizt immer mitreißender.

Nach dem letzten Durchgang wanderten wir alle gemeinsam wieder nach unten zu unserem Ausgangspunkt, wurden von heißer Kartoffelsuppe und wärmenden Getränken erwartet und durften bei einer weiteren Übung zusehen: eine unserer Darstellerinnen wurde aus einem Auto gerettet. Dieses sei angeblich zuvor gegen einen Baum gefahren und durch laute Funkdurchsagen wurde jeder einzelne Schritt der Rettung bis ins letzte Detail erläutert. Dieser Einsatz stellte einen gelungenen Abschluss des langen Tages dar und um 15 Uhr machten sich langsam alle auf den Heimweg – die Mediziner*innen um die Bezeichnung „Notärztin“ oder „Notarzt“ reicher und wir Darsteller*innen um wertvolle Erfahrungen.

Nun wieder im hellen und warmen Büro, in angenehmer Atmosphäre und befreit von meiner Schusswunde, freue ich mich schon sehr darauf, ein weiteres Mal an einer solchen Übung teilzunehmen. Ich habe in diesen wenigen Stunden so viel gelernt und persönlich für mich mitnehmen können – wie es ist, sich in einer solch beklemmenden Situation zu befinden, wie die Ausbildung und Arbeit von Notärztinnen und Notärzten stattfinden kann und wie koordiniert Einsätze sein müssen, um auch wirklich erfolgreich zu sein.

Elisabeth Ridder

Foto: ASB Berlin/ Hannah Summerer